Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein Möbelgeschäft auf der Suche nach einem neuen Sofa. Während Sie sich durch das große Sortiment kämpfen, stoßen Sie auf ein besonders luxuriöses Modell mit einem Preisschild von 5000 Euro.
Sie zögern kurz, aber bevor Sie sich entscheiden können, spricht Sie ein Verkäufer an und zeigt Ihnen ein ähnliches Sofa für 3000 Euro. Plötzlich erscheint Ihnen dieses Angebot als echtes Schnäppchen, obwohl Sie vorher nie daran gedacht hatten, so viel für ein Sofa auszugeben. Willkommen im Reich des Ankereffekts.
In diesem Artikel werden wir genauer untersuchen, wie der Ankereffekt im Verkauf funktioniert, warum er so wirkungsvoll ist und wie Verkäufer ihn gezielt einsetzen können, um Kunden zu beeinflussen und ihre Umsätze zu steigern.
Was ist der Ankereffekt?
Beim Ankereffekt handelt es sich um eine kognitive Verzerrung, die Menschen in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst. Der Ankereffekt sorgt unterbewusst dafür, dass sich Menschen auf die ersten Informationen verlassen, die sie bekommen und diese als Orientierung für Folgeentscheidungen nutzen.
Der Ankereffekt einfach erklärt
Der Ankereffekt ist ein psychologisches Phänomen, das unser Entscheidungsverhalten maßgeblich beeinflusst. Er tritt auf, wenn eine anfängliche Information bzw. ein „Anker" unsere Wahrnehmung und Bewertung von nachfolgenden Informationen oder Angeboten beeinflusst, selbst wenn diese Anker irrelevant oder ungenau sind. Dies geschieht, weil unser Gehirn dazu neigt, sich an diesem Ausgangspunkt zu orientieren und von dort aus weitere Entscheidungen zu treffen.
Der Anker kann in verschiedenen Formen auftreten, wie zum Beispiel in Form eines Preisschilds, einer Referenzgröße oder einer vorgegebenen Meinung.
Ein klassisches Beispiel für den Ankereffekt ist das Experiment, bei dem Probanden zuerst gefragt werden, ob Mahatma Gandhi älter oder jünger als 140 Jahre alt geworden sei, bevor sie die tatsächliche Frage beantworten sollen: „Wie alt ist Mahatma Gandhi geworden?" Selbst wenn die Probanden wissen, dass 140 Jahre offensichtlich falsch sind, beeinflusst diese Zahl dennoch ihre Schätzung der tatsächlichen Lebensdauer Gandhis.
In Verkaufssituationen nutzen Verkäufer den Ankereffekt oft geschickt, indem sie zunächst ein teures Produkt oder Angebot präsentieren, um dann ein scheinbar günstigeres Angebot vorzulegen, das im Vergleich dazu attraktiver erscheint.
Der Ankereffekt in der Psychologie
Als Entdecker des Ankereffekts gelten die US-amerikanischen Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky. Sie beschrieben ihn zum ersten Mal ausführlich in den 1960er Jahren. 1982 folgten mit ihrem Buch „Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases” tiefere Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie.
Was wir heute über den Ankereffekt wissen:
Er ist einer von vielen verschiedenen kognitiven Verzerrungen, die in Entscheidungssituationen greifen.
Als Heuristik ist er für unser Gehirn eine Art Abkürzung, damit wir unseren Alltag schneller, leichter und sicherer bewältigen können. Statt über jede kleine Entscheidung aktiv nachzudenken, konfrontiert unser Gehirn uns nur mit den Fragen, die es als sehr wichtig bis existenzentscheidend erachtet.
Der Ankereffekt läuft komplett unterbewusst ab.
Er wirkt auch dann, wenn Menschen ihn kennen und auf seinen Effekt achten. Das fanden die Psychologen Adrian Furnham und Hua Chu Boo heraus.
Die Informationen, die als Ankerpunkt dienen, müssen nicht unbedingt mit dem Thema zu tun haben. Sie können völlig willkürlich sein.
Anker werden im Alltag ständig gesetzt, oft unbewusst. Dabei greift das sogenannte Priming: Menschen ziehen selbstständig Informationen aus ihrer Umgebung heraus und verwenden diese als Orientierungspunkt.
Kahneman und Tversky demonstrierten diesen Effekt anhand eines Glücksrades. Die Probanden sollten erst an dem Rad drehen und dann schätzen, wie viele Staaten es in Afrika gibt. Je höher die Zahl auf dem Glücksrad, desto höher wurde die geschätzte Zahl der Staaten.
Ein Anker kann jedoch auch ganz bewusst gesetzt werden – und genau das können Sie sich in Marketing und Vertrieb zu Nutze machen.
Ankerheuristik: Beispiele in der Bepreisung
Der Ankereffekt begleitet uns täglich. Meistens in Form von Zahlen, aber er greift auch in anderen Bereichen. Selbst der Name einer Bar kann als psychologischer Anker dienen – das zeigten die beiden Psychologen Clayton R. Critcher und Thomas Gilovich in einer Studie. Sie stellten fest, dass Gäste in einer Bar namens „Studio 97“ bereit sind, mehr Geld für den gleichen Service zu bezahlen, als Gäste in einer Bar mit dem Namen „Studio 17“.
Die folgenden Beispiele zeigen, dass uns der Ankereffekt häufiger begleitet, als Sie vielleicht im ersten Moment vermuten:
Rabatte
Das wohl häufigste Beispiel für den Ankereffekt sind Rabatte in Form von Streich- oder Rotpreisen. Sie gehen einkaufen und entdecken ein Rabattschild an einem T-Shirt. Sie sehen den Originalpreis von 60 Euro und denken: „Puh, ganz schön teuer.” Dann sehen Sie den Hinweis „50 Prozent Rabatt” – und schon kommt Ihnen der Preis weniger hoch vor und der Kauf verlockender. Der Grund ist, dass Ihr Gehirn mit Vergleichswerten arbeitet und den Preis anhand dieser zuvor registrierten „Anker" anders einschätzt.
Zero-Price-Effekt
In vielen Onlineshops gibt es eine Mindestbestellsumme, um vom kostenlosen Rabatt zu profitieren. Unterbewusst sorgt das dafür, dass Käufer und Käuferinnen mehr bestellen, als sie ursprünglich wollten. In Fachkreisen wird dabei vom Zero-Price-Effekt gesprochen. Spart sich ein Einkäufer durch ein weiteres Produkt im Warenkorb die Versandkosten, hat er das Gefühl, dass er das Produkt gratis bekommt.
99-Cent-Preise
Haben Sie sich auch schon mal gefragt, warum die meisten Preise auf 99-Cent-Beträge enden? Der Effekt ist ganz einfach: Kostet ein Produkt 2,99 Euro, wirkt es günstiger als ein Produkt für 3 Euro. Obwohl nur ein Cent zwischen den Preisen liegt, speichert unser Gehirn die Zwei als Anker ab und stuft den Betrag somit als preiswerter ein.
Drei verschiedene Preisklassen
Gute Verkäufer wissen, wie sie ein Produkt an die passende Kundschaft verkaufen. Ganz gleich, ob Sie ein Haus, eine Software oder einen Staubsauger kaufen wollen: Eine bewährte Verkaufsmethode ist es, dem Kunden oder der Kundin drei unterschiedliche Produkte zu zeigen. Das Teuerste zeigen Verkäufer und Verkäuferinnen immer zuerst. Durch den hohen Standard setzt es den Anker für die Kaufentscheidung, doch das Produkt liegt häufig über dem Budget der Kundschaft. Nun wird das günstigste (und auch „schlechteste“) Produkt gezeigt. Der Verkäufer weiß bereits, dass Sie sich für dieses ohnehin nicht entscheiden, sondern das dritte Produkt aus der Mittelklasse nehmen werden.
Der Ankereffekt in Verhandlungen
Auch, wenn Sie sich in einem Verkaufsgespräch befinden, wirkt die Ankerheuristik – und zwar völlig unabhängig davon, ob Sie das möchten oder nicht. Der Mensch kann sich dem Anchoring nicht entziehen.
Es ist deshalb sinnvoll, sich den Ankereffekt schon vorher bewusst zu machen und genau zu überlegen, wie Sie ihn am besten einsetzen möchten. So können Sie das Priming steuern und verhindern, dass der Zufall ungünstige Anker setzt. Denken Sie daran: Wer als erstes einen Anker setzt, bestimmt die Richtung des weiteren Gespräches im Allgemeinen und der Vertragsverhandlungen im Besonderen.
Unser Tipp
Denken Sie bei Ihrer nächsten Gehaltsverhandlung an den Ankereffekt. Machen Sie den ersten Vorschlag für Ihr Wunschgehalt. So setzen Sie den Anker und lenken das Gespräch in eine für Sie positive Richtung.
Ankereffekt in Marketing und Vertrieb: 7 Tipps für erfolgreiches Anchoring
Für Marketing und Vertrieb gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Ankerheuristik in die Praxis zu übertragen. Werden Sie kreativ und probieren Sie verschiedene Strategien aus! Für den Anfang können Sie sich an diesen erprobten Taktiken orientieren:
1. Pakete und Abos anbieten
Durch Pakete und Abonnements können Sie Ihren Umsatz erheblich steigern. Eine gängige Methode ist zum Beispiel, eine monatliche Gebühr neben ein Jahresabo zu stellen. Buchen Kundinnen und Kunden gleich für ein ganzes Jahr, bekommen sie einen kleinen Preisnachlass. Die Buchhaltungssoftware Sevdesk beispielsweise bietet ihrer Kundschaft bei einem 2-Jahres-Vertrag sogar 12 Monate kostenlose Nutzung an. Wichtig ist, dass Sie beide Preise explizit ausweisen, damit den Kundinnen und Kunden die Ersparnis sofort bewusst wird.
Quelle: https://sevdesk.de/preise/
Wenn Sie physische Produkte anbieten, können Sie den Ankereffekt nutzen, indem Sie Pakete schnüren. Je größer das Paket, desto kleiner wird der Preis pro Stück. Dieses Vorgehen lässt sich beispielsweise bei Druckereien wie Flyeralarm beobachten. In einem Paket mit 500 Flyern kostet ein Flyer (je nach Ausführung) 19 Cent, in einem Paket mit 5.000 Flyern nur noch 0,05 Cent.
Quelle: https://www.flyeralarm.com/de/p/flyer-klassiker-4191540.html#/p/FV-4425552&/l/5756
2. Produktpalette zur geschickten Präsentation nutzen
Um einen hohen Anker zu setzen, können Sie auch auf Ihre eigene Produktpalette zurückgreifen und auf die unbewusste Suggestion beim Kunden setzen. Bieten Sie drei Optionen an: eine günstige, eine mittlere und eine teure. Das teure Angebot setzt den Anker. Das mittlere Angebot scheint dadurch attraktiver und wird eher gekauft.
Besonders häufig nutzen SaaS-Unternehmen diese Methode in Form von Software-Paketen. Kunden und Kundinnen haben die Möglichkeit, zwischen einer Basis-, Premium- und Enterprise-Variante zu wählen. Die Auswahl fällt mit großer Wahrscheinlichkeit in die goldene Mitte.
Tipp: Hat sich ein Kunde oder eine Kundin erst einmal für Ihr Produkt entschieden, bietet das die Möglichkeit fürs Upselling auf die nächsthöhere Version.
3. Rabatte wirkungsvoll einbinden
Rabatte sind eine tolle Möglichkeit, potenzielle Kunden zum Kauf zu motivieren. Achten Sie dabei jedoch darauf, wie Sie den Discount darstellen. Bei Produkten, die weniger als 100 Euro kosten, ist eine Angabe in Prozent sinnvoll. Wenn der Preis zum Beispiel von 50 auf 40 Euro sinkt, sind das 20 Prozent Nachlass. Das klingt besser als 10 Euro.
Wenn Ihr Angebot einen hohen Preis hat, sollten Sie Rabatte lieber in absoluten Zahlen beziffern. Sinkt der Preis von 5.000 auf 4.000 Euro, sind das immer noch 20 Prozent Discount. „Sparen Sie 1.000 Euro” wirkt aber deutlich attraktiver.
Um den Anker bestmöglich zu platzieren, sollten Sie im Verkaufsgespräch erst den Originalpreis nennen und danach die Vergünstigung. Möchten Sie Rabatte in Ihrem Onlineshop darstellen, eignen sich Rotpreise. Durch die farbliche Kennzeichnung setzen Sie für Kunden und Kundinnen zusätzlich einen visuellen Anker.
Quelle: https://www.aboutyou.de/c/frauen/sale/jacken-32621
4. Preissteigerungen in mehreren Schritten vollziehen
Stehen bei Ihnen Preiserhöhungen ins Haus und Sie haben die Aufgabe, Stammkunden davon zu überzeugen? Versuchen Sie, die Preise sukzessive in kleinen Schritten zu steigern. Dann wird jedes Mal der vorherige Preis als Anker gesehen. Für die Kundinnen und Kunden ist es eher akzeptabel, fünfmal 50 Euro mehr zu zahlen als mit einem Schlag 250 Euro.
5. Unique Selling Propositions (USP) nutzen
Nicht nur Sie setzen Anker: Auch Ihre Konkurrenz tut es. Wenn Sie ein Produkt anbieten, das teurer ist als am Markt üblich, kann das zum Problem werden.
Schauen Sie zum Beispiel auf die Kaffeekette Starbucks. Ein Kaffee dort kostet schnell zwischen 5 und 6 Euro und damit deutlich mehr als in der Bäckerei nebenan – und dennoch stehen die Menschen Schlange.
Das Geheimnis sind die Unique Selling Propositions von Starbucks. Das Unternehmen bietet nicht einfach nur Kaffee an, sondern Iced Caramel Macchiato und andere Kreationen, die es nirgendwo anders gibt. Es verkauft nicht nur ein Getränk, sondern ein Lebensgefühl. Überlegen Sie also, wie Sie den Effekt für Ihre Marke nutzen können. Was macht Ihr Angebot besonders? Wodurch hebt es sich von anderen so sehr ab, dass der Preis trotz Anker Ihrer Konkurrenz gerechtfertigt scheint?
6. Anker im Website-Design integrieren
Ihre Website ist das Aushängeschild für den Verkauf Ihrer Produkte. Nutzen Sie gekonnt Design-Elemente, um Besucher und Besucherinnen in Ihrer Kaufentscheidung zu beeinflussen.
Ein mögliches Beispiel hierfür sind Kundenstimmen. Begeisterte Rezensionen wirken sich positiv auf das Qualitätsempfinden Ihrer Produkte sowie auf das Image Ihrer Marke aus. Wenn Besuchende direkt beim Aufruf Ihrer Website mit Empfehlungen konfrontiert werden, setzt das bereits einen Anker für die spätere Entscheidung.
Ein weiteres Beispiel sind Elemente, die die Verknappung oder Dringlichkeit für den Kauf Ihres Produktes oder Ihre Dienstleistung hervorheben. Zeigen Sie beispielsweise an, wie viele Kunden und Kundinnen sich in den letzten 24 Stunden für Ihren Service entschieden haben. Unterbewusst führen die hohen Referenzzahlen dazu, dass sich Besuchende zu einem Kauf leiten lassen.
Quelle: https://mietwagen.check24.de/cars/list/request/42nixxl7hrv6irvcp1
7. Countdown verwenden
Wenn ein Kunde oder eine Kundin sieht, dass ein bestimmtes Angebot nur noch begrenzt verfügbar ist, setzt das einen wichtigen Anker – nämlich, dass die Kaufentscheidung schnell getroffen werden muss. Nutzen Sie beispielsweise ganz klassisch eine herunterlaufende Uhr oder geben Sie ganz konkret an, wie oft ein Angebot noch gekauft werden kann. Die Hotelbuchungsplattform Booking.com weist in Signalrot auf ihrer Seite aus, wie viele Zimmer zu einem bestimmten Preis noch vorhanden sind. Das führt dazu, dass Kunden und Kundinnen sich wesentlich schneller entscheiden (müssen).
Fazit: Ankerheuristik hilft Unternehmen, leichter zu verkaufen
Der Ankereffekt kann Ihnen helfen, Ihr Angebot im Vertriebsgespräch geschickt zu präsentieren und Ihre Chancen auf einen Abschluss zu steigern. Da sich niemand der Ankerheuristik erwehren kann, ist dieser Trick eine sichere Bank für Sie.
Allerdings täuscht auch der schönste Anker nicht über ein schlechtes Produkt hinweg. Voraussetzung für Ihren vertrieblichen Erfolg bleibt also bei aller Psychologie, dass Ihr Angebot einen deutlichen Mehrwert für die Kundinnen und Kunden hat.